Passierschein A 38
Im Film Asterix erobert Rom, muss der Gallier im römischen Verwaltungsdschungel den Passierschein A 38 beantragen, was ihn beinahe in den Wahnsinn treibt. Nun was hat das mit Indien zu tun? Ziemlich viel, wie sich später herausstellen wird. Die indische Bürokratie ist legendär. Immer wieder wird sie in Bollywood Filmen für ihre komplizierte und langsame Arbeitsweise verspottet.
Nach dem wir den ersten Tag in Indien mit Schlafen verbrachten, um uns vom Gabelflug mit 8-stündigem Aufenthalt am Flughafen in Dubai zu erholen, stand für den zweiten Tag ein paar organisatorische Dinge auf dem Programm. Eine indische SIM-Karte und ein Zugticket für die Weiterreise mussten organisiert werden. Kann so schwierig nicht sein, dachten wir. Zuerst machten wir uns auf zum Bahnhof. In einer verruchten Halle fanden wir die Ticketschalter. So weit so gut. Von den 20 Schaltern war jedoch nur einer für internationale Touristen bestimmt! Nach 20-minütigem warten, verstanden wir, dass wir zuerst ein Formular ausfüllen mussten, auf dem unsere Personalangaben und Infos zur gewollten Zugverbindung verlangt wurden. Zu unserem Nachteil, wollten vor uns eine Reisegruppe von 20 Männern aus Bangladesch ebenfalls ein Ticket. Nach 2 Stunden Wartezeit und einigem Abwimmeln von Dränglern kamen wir endlich an die Reihe. Nach 5 Minuten hielten wir unser Ticket in den Händen und fragten uns allen Ernstes, warum die anderen so lange gebraucht hatten. Ausserdem hat sie das Formular, welches wir 2 Stunden zuvor ausgefüllt hatten, gar nicht mehr angeschaut. Scheinbar diente dieses nur dazu, uns eine Wartenummer zuzuteilen. Erschrocken blickte ich auf den Bildschirm der entnervten Dame am Schalter und sah das Buchungsprogramm, welches nicht einmal auf einer Windows Oberfläche lief, sondern an ein Betriebssystem aus den 80ern erinnerte.
Als Nächstes suchten wir den Vodafone Store auf. Wieder hiess es eine halbe Stunde warten, bis wir bedient wurden. Der Mann konnte uns tatsächlich weiterhelfen. Da wir keinen indischen Kontakt hatten, der unsere SIM-Karte freischalten konnte, musste der Herr unsere SIM-Karte in sein privates Handy stecken. Dieser Arbeitsschritt verdoppelte den Preis. Wieder eine halbe Stunde später ging es ums Zahlen. Nein, sie würden keine Kreditkarte akzeptieren. Wie so etwas bei einem der grössten Anbieter des Landes möglich ist, blieb uns schleierhaft. Also mussten wir einen Bankomaten finden, der unsere Karte akzeptiert. Nach einem veritablen Spiessroutenlauf fanden wir dann doch noch einen Bankomaten, der Geld ausspuckte. Wieder im Vodafone Shop angekommen, wollten wir zahlen. Aus unerklärlichen Gründen beanspruchte der Zahlungsvorgang nochmals eine gefühlte halbe Stunde. Nach geschlagenen 6 Stunde haben wir es geschafft. Völlig erledigt, torkelten wir zurück ins Hostel und legten uns ins Bett. Selbst der lärmige Stadtverkehr konnte uns nicht mehr am Schlafen hindern.
Da wir unsere Indienreise nicht Wochen im Voraus buchen wollten, mussten wir die meiste Zeit aufs Zugfahren verzichten. Die Eisenbahngesellschaft arbeitet mit einem Reservierungssystem, welches es erlaubt 3 Monate im Voraus Zugtickets zu buchen. Von Dezember bis Februar ist auf Grund milder Temperaturen das halbe Land unterwegs, um Ferien zu machen. Eigentlich gibt es eine Quotenregelung, die es Ausländern erlaubt, kurzfristig freigehaltene Plätze zu buchen. Scheinbar wurde dieses System auf Grund der Pandemie ausgesetzt. Es gibt natürlich so etwas wie eine SBB-App. Doch auf Foren haben wir gelesen, dass viele Ausländer bei der Registrierung irgendwann aufgeben. Als einzige Alternative zum Fliegen blieb somit der Bus. In Indien werden heutzutage viele Dinge mit Apps erledigt. Das gilt auch für das Buchen von Bussen. Das klingt sehr vielversprechend, dachten wir uns. Weit gefehlt. Aus unerfindlichen Gründen lassen die meisten Buchungsapps Zahlungen mit einer ausländischen Kreditkarte nicht zu. Über viele Umwege fanden wir dann doch noch alternative Lösungen.
Die ausländische Kreditkarte brachte uns auch in wenig touristischen Hotels Zentralindiens in Bedrängnis. Weder auf der Buchungsplattform noch vor Ort konnten wir mit einer App zahlen, da wir kein indisches Bankkonto besitzen. Also mussten wir abermals den Bankomaten aufsuchen. Mit der Zeit lernten wir welche funktionierten. Da man aber in Indien an keinem Bankomaten mehr als 100 Franken beziehen kann, stiegen die Bezugsgebühren mit der Zeit in astronomische Höhen. Ein kleiner Aufsteller hingegen war der Polizist, der den Geldtransport mit der Schrottflinte bewachte.
Der Gipfel ereignete sich in einem Hotel im Bundesstaat Maharashtra. Alkohol ist in den hinduistisch geprägten Bundesstaaten nicht so leicht zugänglich. Jedoch hatte ich wieder mal Lust auf ein Bier und bestellte mir eines zum Essen. Zum Bier bekam ich zusätzlich noch einen gelben Zettel. Mit fragendem Blick schaute ich zum Kellner auf. Er erwiderte mit einem Lächeln, der Zettel sei eine Genehmigung zum Trinken. Wie muss dieses Gesetz wohl lauten, dass ein Hotel eine handschriftliche Genehmigung ausstellen muss, wenn einer ihrer Gäste Alkohol konsumieren will? Doch mit der Zeit gibt man auf, gewisse Dinge zu hinterfragen. Man schmunzelt und nimmt es einfach hin. Denn der Bürokratie Indiens ist niemand gewachsen. Nicht einmal Asterix. Sich in Indien durchzuschlagen, braucht viel Geduld und eine Prise Gleichgültigkeit. So steht es zumindest auf dem Passierschein A 38.
09.12.2022 - 25.01.2023