Von Basel nach Shkodra
Wir passieren die Grenze zu Albanien. Das absurd anmutende Grenzprozedere als Busreisende hat sich mittlerweile schon einige Male wiederholt. Bei der Ausreise müssen alle aus dem Bus. Sich in Einerkolonne aufstellen und zum Zollhäuschen laufen. Nachher wieder in den Bus einsteigen, um geschlagene hundert Meter weiter den Vorgang für die Einreise zu wiederholen, für dass der Zöllner mit emotionsloser Miene den Ausweis eine gefühlte Hundertstelsekunde anschaut, um den Anschein zu wahren, dass er seinen Job ernst nimmt. Der albanische Zöllner sieht unseren roten Pass und stösst ein freudiges «Aaahh Svizzera» aus, ohne Diesen genauer anzuschauen, so als ob wir einen Vertrauensbonus geniessen würden. Auf dem Weg nach Shkodra schauen wir hungrig nach neuen Eindrücken aus dem Fenster und sind gespannt, was uns Albanien zeigen wird.
Ca. einen Monat zuvor stehen wir in Basel am Bahnhof SBB und warten auf den Zug Richtung Wien. Die Situation ist eine Ähnliche, nur die Gefühlslage eine ganz andere. Viel Nervosität und eine seltsame Anspannung liegen in der Luft. In einer Umgebung, welche normalerweise nur ein Gefühl von Routine zulässt. Die Sinneseindrücke auf der Zugfahrt fühlen sich völlig ungefiltert an. Jede Regung wird registriert. Der Verstand ist in Ausnahmezustand. Der Nebel der alltäglichen Routine, welcher sich über unsere Sinne legt, um unseren Verstand vor irrelevanten Eindrücken zu schützen, schwindet auf einen Schlag dahin und löst den Schwebezustand des wochenlangen Wartens auf den Beginn der Reise ab. Völlig erschöpft kommen wir in Wien an und sind glücklich ein bekanntes strahlendes Gesicht zu erblicken, welches uns eine Woche Unterschlupf in ihrem Reich gewährt. Wir schauen am Morgen aus dem Fenster und stürzen uns in einen unbekannten Alltag.
In den folgenden Wochen streifen wir von Wien über Budapest nach Ljubljana bis Zagreb und machen in Ungarn und Slowenien kürzere Abstecher in die Provinz, um uns zwischen den Hauptstädten eine Portion Gelassenheit und Natur zu gönnen. Die Städte haben alle ihr eigenes Flair und doch sind die historischen Spuren der Monarchie Österreich – Ungarn in allen Städten zumindest in der Architektur und Kulinarik spürbar. Barocke Bauten bilden das Fundament, auf dem diverse Denkmäler, mit Blick Richtung Wien, ihr Ringen um nationale Identität ausfochten. Auf Grund der langen Kontinuität des österreichischen Einflusses auf Ungarn, Slowenien und Kroatien scheint das Bemühen nationale Identifikationsfiguren im öffentlichen Raum an präsenter Stelle platziert zu haben, umso stärker als sonst wo, spürbar zu sein. In der Wiener Tram begleiteten uns täglich die slawischen Sprachfetzen und der österreichische Detailhändler Spar hat selbst in den hinterletzten Ecken von Kroatien ein beachtliches Filialnetz, wohingegen nach Ungarn Aldi und Lidl nicht mehr zu finden sind. In Wien gibts traditionelles Gulasch. In slowenischen Bergrestaurants wird Strudel als Hausmannskost angepriesen. Der österreichische Einfluss mag heute um einiges subtiler wirken, aber ist neben dem kosmopolitischen Kulturangebot, welches heutzutage in praktisch jeder grösseren Stadt zu finden ist, doch noch spürbar.
Die Szenerie ändert sich allmählich, als wir in den Zug von Zagreb nach Split steigen und durch die kaum bewohnte Landschaft zwischen Zagreb und Küste fahren. In Split weht einem schon das venezianische Flair der unverputzten Granit - und Sandsteinhäuser entgegen und der Geruch von Meer aktiviert den Dolce Vita Modus. Die Eisenbahnlinien enden hier und werden durch die Autoabgase ersetzt. Auch noch im September ist hier mehr los als uns lieb ist. Split, Dubrovnik und Kotor sind alles UNESCO Weltkulturerbestätte und deswegen sehr stark frequentiert. In Split versuchen wir die Restaurants, welche die deutschen Touristen glücklich machen sollen zu umgehen und recherchieren uns zu einigermassen authentischen kroatischen Restaurants. Dieser Spiessroutenlauf verschlägt uns in Kneipen mit bodenständigem Essen und stellt sich einmal als so erfolgreich heraus, dass wir nach 4 Gratisschnäpsen zufrieden in das Studentenwohnheim schlendern, welches in den Sommermonaten zum Hostel umfunktioniert wird. What a surprise! Die Altstadt von Split war ursprünglich die Altersresidenz von Diokletian (römischer Kaiser) und wird nach dem Zerfall des römischen Reiches seit 1500 Jahren von gewöhnlichen Leuten bewohnt. Die Venezianer drückten der Stadt mit Piazza und neuen Festungsmauern mit integrierter Garnison, deren Maurern zur Stadtseite hin stärker als gegen aussen waren, ihren Stempel auf und die Bewohner bedienten sich an der römischen Bausubstanz, um sich Tetris mässig Wohnungen in die römischen Anlagen zu bauen. Kein Wunder pilgern so viele Touristen hierhin. Doch genau diese Touristen führen zu explodierenden Bodenpreise und machen es den Ortsansässigen schwer ihre Grundstücke nicht zu horrenden Preisen zu verkaufen oder zu vermieten und sich selbst aus der Altstadt auszuquartieren. Der «unique selling point» von Split führt zwangsläufig zu seinem eigenen Ende. Vielleicht ist das alles ein wenig übertrieben, aber die Ironie der Geschichte ist trotzdem sehr amüsant. Dubrovnik hat diesen Punkt schon längst überschritten. Kotor ist von diesen Dreien noch in der Anfangsphase. In der Altstadt leben noch Leute und die Begehung der Stadtmauer ist gratis, im Vergleich zu den 33 Euro in Dubrovnik. Wenn man Glück hat und zwischen den Ankünften der Kreuzfahrtschiffe in der Stadt ist, kann man eine entspannte Zeit haben. Die UNESCO versucht seit einigen Jahren mit Broschüren und Dialogpanels die Welterbestätte für «overtourism» zu sensibilisieren. Doch wenn ganze Regionen mehrheitlich vom Tourismus leben, scheint dieser Versuch doch eher hilflos.
Der Massentourismus an der Adriaküste ist jedoch nicht erst seit 20 Jahren existent. Riesige Hotelkomplexe an den steilen Küstenhängen von Dubrovnik zeugen von einer Zeit, in der die Führung Jugoslawiens, während des Baubooms in den 50er und 60er Jahren, es zu ihrem Ziel erklärten, der Arbeiterschaft Ferienurlaub an der Küste zu ermöglichen. Zusätzlich führte die Stellung Ex-Jugoslawiens als Anführer der blockfreien Staaten auch dazu, dass Ferienurlauber aus Ost und West an die Adria pilgerten, die vom teilweise liberalen Wirtschaftssystem als gern gesehene Einnahmequelle willkommen geheissen wurden. Des Weiteren war Jugoslawien durch ihre weltpolitische Verortung dazu gezwungen, viel in die Landesverteidigung zu investieren, was zum Bau, aus heutiger Sicht, skurrilen Verteidigungsanlagen an der Küste führte, die man mittels allgegenwärtig angebotenen Schiffstouren erkunden kann. Die Armee, die Arbeiter, die Westler und die Menschen aus dem Ostblock tummelten sich schon vor Jahrzehnten an der Adriaküste. Im Unterschied zu früher, führte der stetige Verfall der jugoslawischen Industrie in den 80er Jahren und der plötzliche Zusammenbruch Jugoslawien in den 90er Jahren dazu, dass von all diesen Gruppen fast nur noch die Touristen aus dem Ausland übriggeblieben sind und die Einheimischen sich mehrheitlich im Dienstleistungssektor, um die ganzen Touristenmassen kümmern und sich nicht mehr selbst in Massen an den Stränden bräunen können.
Neben dem Bestaunen von Verteidigungsanlagen und hübschen Städtchen kann man sich aus einer Vielzahl von Tour Angeboten die konfliktreiche Geschichte der Jugoslawienkriege widmen. Dubrovnik wurde Ende 1991 mehrere Monate von der jugoslawischen Armee belagert, was auch einer der Anklagepunkte im Gerichtsprozess gegen Milosevic war. Die Bombardierung der Altstadt ist heute jedoch nicht mehr sichtbar und lebt von den Geschichten, die die Guides den Touristen erzählen. Im nationalistisch aufgeheizten Klima, welches auch heute noch fortbesteht, erzählt uns unser Guide, wie er von Kroaten angepöbelt wird, wenn er die Geschichte Jugoslawien mittels einer alten Karte in der Hand, den Touristen visualisieren will. Der Bürgermeister Dubrovniks hängte ein grosses Transparent über den Eingang zur Altstadt mit der sinngemässen Aufschrift: «Wo warst du, Kamerad?» Gemeint sind die Männer, die sich während der Belagerung nicht den Verteidigungsmilizen der Stadt angeschlossen hatten und stattdessen versuchten ihr Leben zu retten. Er und seine Freunde würden regelmässig nach Trebinje, das zur Republik Srpska (Gebiet in Bosnien, welches von serbischen Bosniern bewohnt wird) gehört, fahren, um ihre Autos zu reparieren und Essen zu gehen. Viele würden aber auf die Frage danach, wo sie waren, lügen.
Sinnbildlich zum Flughafen Dubrovniks, welcher während der Belagerung durch die Armee teilweise demontiert und in Tivat (Montenegro) wieder aufgebaut wurde, jedoch heute durch modernere Technik komplett ersetzt ist, bleibt die Hoffnung, dass eine junge engagierte Generation mit Hilfe des Tourismus, sich von der nationalistischen Hetze emanzipiert und nicht aus Jobgründen ihre Heimat in Richtung Mitteleuropa verlässt, sowie die Bewohner einst die Altstadt von Dubrovnik auf Grund der Touristenmassen verlassen haben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in den grösseren Städten wie Wien oder Budapest die Massen relativ gut aufgefangen werden. In Split funktioniert es gerade noch so. In Dubrovnik funktioniert es gar nicht mehr und in Kotor ist es eine Frage der Zeit, denn Montenegro verschwindet langsam von der «bucketlist» der Backpacker und landet in den Reisebroschüren der Otto Normal Reisenden. Jammern hilft nicht und zu nervigen Touristen, die mit erhobenen Zeigefingern die Authentizität ihrer Reiseziele bemängeln, wollen wir auch nicht werden. Darum haben wir uns auch mal 4 Tage auf einer kroatischen Insel verschanzt, gekocht und sind jeden Tag abseits vom schönsten Strand an den Gemütlichsten gepilgert.
17.08.22 - 20.09.22
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