Von Shkodra nach Istanbul Teil 1

Meine Kenntnisse von Albanien waren vor unserer Reise ehrlich gesagt sehr begrenzt. Eigentlich wusste ich nur, dass Mutter Theresa aus Albanien stammt, was sich wiederum als falsch herausstellte und Albanien nach dem 2. Weltkrieg in eine kommunistische Diktatur abglitt.

Bei unserer Ankunft in Shkodra fällt uns eine turbulente Provinzstadt vor die Füsse. Plattenbauten, prall gefüllten Läden, die sich bis auf die Gehsteige ausbreiten, Abfall übersäte Strassenecken, die von streunenden Hunden durchwühlt werden und lächelnde, alte Frauen, die uns auf Albanisch ansprechen und wenig irritiert darüber sind, dass wir nur unsicher zurücklächeln und kein Wort rausbringen. Die reizüberfluteten Bilder füllen die Leerstelle in unserer mentalen Landkarte schneller als uns lieb ist.

Bei der Suche nach unserem Hostel biegen wir in die Altstadt ein, die überraschend anders wirkt. Tiefe farbige Häuser mit hübsch herausgeputzten Bars, aus denen Playlists mit Coversongs von vergangenen Popklassiker dröhnen, die neben unzähligen Barbershops und italienischen Restaurants stehen, vor dem Hintergrund der Türme orthodoxer, katholischer und muslimischer Gotteshäuser. Unser Host ist ein selbstbewusster, stylisch gekleideter, junger Mann, der uns in sehr gutem Englisch willkommen heisst. Wir bekommen seine Nummer und sollen im nur sagen, was wir bräuchten, und er wird es uns organisieren. Ich frage ihn nach einem Barber, er schaut kurz irritiert und greift gleich zum Smartphone. Ein kurzer Anruf und eine Stunde später sitze ich auf dem Friseurstuhl und zeige ein Bild meiner Wunschfrisur. Ein müdes Lächeln des Barbers und ein fragendes: «Like this?» und schon stehe ich wieder auf der Strasse und habe das Gefühl, ich werde nur wegen meinen frisch gestylten Haaren auf Albanisch angesprochen.

In den Nächsten 10 Tagen wird mein Wissen über dieses Land um ein Vielfaches ansteigen und der erste unbehagliche, chaotische Eindruck weicht einem wohligen Gefühl, für das zu grossen Teilen die herzlichen Leute, welche wir auf unserem Weg streifen, verantwortlich sind.

Normalerweise versuchen wir, bevor uns ein neuer Ort in die überfordernde Orientierungslosigkeit schickt, uns mit Onlinerecherche so gut es geht vorzubereiten. In Albanien ist es jedoch schwieriger als angenommen, verlässliche Informationen im Internet zu bekommen. Es läuft Vieles über informelle Netzwerke. Als wir 20 Minuten bei der Strassenkreuzung, an der uns der letzte Bus rausgelassen hatte, standen, um auf den Bus nach Tirana zu warten, klärte uns ein freundlicher Herr auf, dass der Bus nach Tirana auf der anderen Seite der Kreuzung fährt. In der nächsten Woche lernen wir immer mehr, uns nicht nur auf Google, sondern auf die Auskünfte der lokalen Bevölkerung zu verlassen. So kommt man auch öfters ins Gespräch und ist nicht so isoliert unterwegs.

Tirana war in den 1920 er Jahren eine unbedeutende Kleinstadt. Nach der albanischen Unabhängigkeit vom osmanischen Reich wurde sie zur neuen Hauptstadt. Heute lebt ca. jeder vierte Albaner in ihr. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes, kollabierten auch die staatlichen Strukturen, was zu einem wilden Bauboom führte, in dem die Mafia ihr illegal erwirtschaftetes Geld wusch. Die Folge ist noch heute sichtbar, wenn man von den Aussenbezirken Tiranas ins Zentrum fährt. Wenige Highways durchschneiden das Betonlabyrinth der Plattenbauten und leiden an chronischer Verstopfung. Immer wieder sieht man wild um sich fuchtelnde Verkehrspolizisten, die in ihre Pfeifen beatboxen, um die Autokolonnen in Bewegung zu halten. Trotzdem macht Tirana einen aufgeräumteren Eindruck als Shkodra. Riesige Alleen zeugen von einer autoritären Vergangenheit und verbinden moderne Wolkenkratzer, die auf die neuen kapitalistischen Machteliten verweisen. Dazwischen liegen unzählige Kaffees, die alle bis um 10 Uhr abends vollgestopft sind. Probiert man den Kaffee ist auch klar warum. Mit der Zeit fällt mir auf, dass die Quote italienischer Kaffeemaschinen ziemlich nahe bei 100 % liegt. Für ungefähr einen Franken kann man sich an einer Kaffeequalität erfreuen, die es sonst nur in Italien auf diesem Niveau gibt.

Zur Zeit der faschistischen Präsenz Italiens auf dem Balkan, wurde der junge albanische Staat, unter ethnischen Gesichtspunkten, zu einem Grossalbanien, welches alle ethnischen Albaner (Kosovo, Mazedonien, Griechenland) vereinen sollte, umgestaltet. Zogu, der albanische König unterhielt einen regen Austausch mit Mussolini und förderte die albanisch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen. Nach der Machtübernahme der kommunistischen Partei unter Hoxha und der fortlaufenden, kompletten Isolierung Albaniens von der Aussenwelt, kamen die Beziehungen nach dem Zerfall des Regimes Anfang der 90er Jahren wieder zum Tragen. Die kommunistische Herrschaft hatte auf Grund von kompletter Misswirtschaft eine hungernde Bevölkerung zurückgelassen, die durch den Staatszerfall nur notdürftig versorgt werden konnte. Viele Albaner verliessen fluchtartig das Land. Die naheliegendsten Optionen waren die Fährverbindungen nach Italien. Bis heute lebt der grösste Teil der albanischen Diaspora in Italien. Neben den Kaffeemaschinen hat sich durch das in Tirana verbreitet gesprochene Italienisch eine grosse Callcenter Industrie entwickelt. Wenn sich in Rom jemand bei einer italienischen Firma beschwert, nimmt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Angestellte in Tirana den Hörer ab.

Gut hinhören mussten wir auch auf der Taxifahrt zum Busbahnhof. Unser Fahrer unterhielt sich mit uns auf Italienisch, obwohl wir kein Wort Italienisch sprechen. Überraschend ist in solchen Situationen, wieviel Verstandenes sich aus dem Kontext erschliessen lässt. Er schwelgte in den guten alten kommunistischen Zeiten, in denen er als Ingenieur eine angesehene Position innehatte und im Allgemeinen noch Disziplin herrschte. Ausserdem gab es keine Arbeitslosen – was nicht überraschend ist, wenn man zum Arbeiten gezwungen wurde. Der Kapitalismus hingegen sei schlecht für die Gesellschaft. Er müsse heute noch Taxifahren, obwohl er schon 67 ist. Obwohl Hoxhas Diktatur unermessliches Leid über die albanische Gesellschaft gebracht hatte, mussten wir verdutzt feststellen, dass es natürlich auch Verlierer gab. Ein wenig irritiert über dieses Gespräch, holperten wir im nächsten Minibus nach Berat und Gijokaster.

Zwei kleinere Städtchen, die beide wegen ihrer osmanischen Altstädte zum UNESCO Weltkulturerbe gehören. Viele pittoreske Eindrücke später, finden wir uns im historischen Museum, welches in der alten Festung von Gijokaster untergebracht ist, wieder und spazierten in ein wahres Gruselkabinett. Ein Ausstellungsraum über die faschistische Befreiung Albaniens, geschmückt mit hunderten von ausrangierten Waffen, an die Wand gemalten Feldzügen und roten Kampfparolen. Diese Ausstellung macht eigentlich nur noch auf einer Metaebene Sinn, und dass auch nur wenn sie kommentiert wäre. Den Korridor entlang, schaut man in die leeren Gefängniszellen der politischen Gefangenen Hoxhas. Leider stehen auch hier keine Erklärtexte und so kann man nur erahnen, welches Leid durch diese Räumlichkeiten hallte. Mit einem schaurigen Gefühl verliessen wir das Museum und starrten noch eine halbe Stunde ins nebelverhangene Tal. Ein bisschen Pittoreskes, um das Gruselige abzustreifen.

Nach einigen regnerischen Tagen, klang der Ruf des rauschenden Meeres einfach zu verlockend und  wir kamen in einem Minibus mit 7 anderen Personen und einer Autotür unter, der eigentlich nur Platz für 5 Personen bot. Obwohl die albanische Riviera viele Traumstrände mit verschlafenen Dörfchen bietet, mussten wir konsterniert feststellen, dass Saranda leider nicht zu diesen gehört. Eine weisse Betonwüste für albanische Budgetferien, die in der Nebensaison einen noch traurigeren Eindruck hinterliess. Zum Glück fiel die Wahl nur auf Saranda, wegen den guten Fährverbindungen nach Korfu. Mit sehnsüchtigen Blicken suchten wir die Silhouetten der griechischen Inseln und genossen den letzten Tag in Albanien.


21.09.22 – 01.10.22

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