Von Shkodra nach Istanbul Teil 2
Als wir in Korfu ankamen, wehte der Wind schöner als bis anhin und die Sonne schien uns klarer. Die mentalen Vorschuss Lorbeeren musste sich Griechenland nicht gerade hart verdienen. Die liebevoll gepflegten Altstädtchen, das traumhafte Essen und der entspannte Gemütszustand vernebelte uns völlig die Sinne. 3 Wochen lang fuhren wir mit einem Mietauto von Korfu nach Thessaloniki, mit diversen Umwegen über den Peleponnes und den Norden Griechenlands. Auf schmalen kurvigen Landstrassen tuckerten wir durch halb verlassene Dörfer, zwischen denen uns immer wieder Ziegenherden zum Halten zwangen und die Möglichkeit gaben, Olivenhaine zu betrachten und den Blick über das bergige Panorama gleiten zu lassen. Als hätte uns jemand vor der Ankunft eine Reisebroschüre auf die Hornhaut gekleistert.
Wir spulten viele Kilometer ab, ohne das Gefühl gestresst zu sein. Es tat gut, den Rucksack im Kofferraum zu verstauen und die Übernachtungen zum Teil nur einen Tag im Voraus zu buchen. Alles Freiheiten, die man mit einem motorisierten Gefährt gewinnt. Nach 3 Wochen und etlichen Stunden im Auto waren wir aber auch wieder froh, den Autoschlüssel abgeben zu können und mit dem öffentlichen Verkehr wieder einen ruhigeren Rhythmus anzunehmen. Mit der Zeit verliert man ein wenig das Gefühl für Distanz und bekundet Mühe, die ganzen Aussichten als Eindrücke festzuhalten. Die Landschaften rauschen einem am Steuer nur so um die Ohren. Man wird das Gefühl nicht los, den Orten nicht so wirklich gerecht zu werden und hat kaum eine Chance in sie einzutauchen.
Im Zug oder Bus ist man jedoch dazu verdammt, die langen Fahrtzeiten tot zu schlagen und entwickelt ein Gefühl für Distanz. Was nur als Leerstelle und endlose Abfolge von Wäldern, Wiese und Feldern daherkommt, eröffnet auf den zweiten Blick ein Gespür, was es bedeutet am jeweiligen Ort zu leben und wie gross die Welt in Wahrheit ist (vergisst man hie und da in der Schweiz). Das ständige Organisieren von Unterkunft und Weiterfahrt bremst das Verlangen gleich wieder aufzubrechen. In Thessaloniki blieben wir 5 Nächte, ohne zu wissen, was uns die Stadt bieten wird. Den Freiraum nicht jeden Tag eine Instagram taugliche Aussicht präsentiert zu bekommen, eröffnete uns die Möglichkeit, Thessaloniki von einer alltäglicheren, unaufgeregteren Seite zu sehen. In ein kleines Kunstmuseum gehen und dabei auf eine historische Ausstellung eines Schweizer Fotografen zu treffen, anstatt die grossen Museen abzuklappern und zum hundertsten Mal eine dorische Säule zu betrachten. Oder den lieben langen Tag, um die Kaffees zu streifen, anstatt eine weitere mittelalterliche Stadtburg zu umrunden. Natürlich sind die grossen Touristenattraktionen meistens beeindruckend und sehenswert, aber vor allem Städte bieten viele Möglichkeiten, um einem Ort auf unterschiedlichste Weise einen charakterlichen Eindruck abzuringen. Für das reichen aber 1-2 Tage meistens nicht.
Wir nutzten unsere restliche Zeit in Griechenland, um Freunde und Verwandte zu besuchen. Dabei wurden wir wieder einmal Zeuge der griechischen Gastfreundschaft, die uns nach allen Regeln der Kunst verwöhnte. So extrem hingebungsvoll, dass einem manchmal die Luft zum Atmen fehlte und man sich in seine Kindheit zurück versetzt fühlte, mit dem Unterschied, dass die Unselbstständigkeit damals nicht störte. Wir hatten tolle Gespräche, geniale Moussaka und ich konnte zum ersten Mal die Urne meines Vaters sehen. Griechenland war in unserer bisherigen Wohlfühltour durch Europa das «Entspannungsprogramm + «.
Nach 5-stündiger Busfahrt und unproblematischem Grenzübertritt biegen wir in die Vororte von Sofia ein. Aufgefallen war mir die grosse landschaftliche Leere im Süden Bulgariens, welche extremer war als in Griechenland, was schon was heissen will. Die Plattenbauten wirken erstaunlich freundlich, obwohl die kolossale Sowjetarchitektur ihre abschreckende Wirkung auf den Menschen durchaus zur Entfaltung bringen kann. Ich bekam zwar von einigen Seiten zu hören, dass Sofia nur halb so cool und schön sei wie Plovdiv, habe aber den leisen Verdacht, dass es sich um dasselbe Hauptstadt Bashing wie in der Schweiz handelt. Einmal im Stadtzentrum angekommen, werden die verschiedenen Epochen an den Häuserfassaden augenfällig. Neobarocker Kitsch wechselt sich mit kommunistischer Nüchternheit ab. Im Untergrund liegt eine riesige römische Stadt, die durch den U-Bahn Bau teilweise freigelegt wurde. Dank EU Geldern hat Sofia eine topmoderne Metro, deren Stationen mit glänzenden Fliesen ausgekleidet sind und durch ihren sowjetischen Touch, an den Baubeginn in den 80 er Jahren erinnern. Die Korruption und sehr wahrscheinlich mangelndes Geld zögerten den Bau jedoch irrwitzig lange hinaus. Omnipräsente Streetart und «hipsterige» Szenelokale geben Sofia einen jugendlichen Anstrich. Auch die in Griechenland noch schmerzlich vermissten Strassenbahnen verleihen der Stadt einen sympathischen Eindruck. Besonders, wenn ein grünes Basler «Trämli» sich durch die Gassen schlängelt. Im obligatorischen Museumsbesuch trägt die kommunistische Architektur fast mehr zum Erlebnis bei als die ein ums andere Mal nationalgeschichtliche Selbstüberhöhung Bulgariens. Man spürt wie stolz die Bulgaren, auf ihr christliches Reich im frühen Mittelalter waren und wie gross die Schmach sein muss, von den bösen Osmanen erobert worden zu sein. Verlorene Identität, Unterdrückung der Kultur, nationalistisches Bullshit Bingo vom Feinsten. So weit so gähn…
Der Aufenthalt in Bulgarien war viel zu kurz, um ein umfassendes Bild von Bulgarien zu bekommen und Sofia als Hauptstadt vielleicht nicht gerade repräsentativ. Angedacht war Bulgarien eigentlich nur als Ausgangspunkt, um per Zug in die Türkei zu kommen. Wegen schlechten Abfahrtszeiten entschieden wir uns dann doch den Bus zu nehmen, sind aber dankbar, dass unsere Nasenspitzen bulgarische Luft geschnuppert haben.
Obwohl Sofia durch gross angelegte Parks viel Grünfläche zu bieten hat, unternehmen wir einen Tagesausflug ins wunderschöne Rila Gebirge und besuchen die weltberühmten Rila Klöster, in denen wir zum Abschied ordentlich mit Weihrauch gesegnet werden. Somit kann für die lange Reise in die zweitgrösste Metropole auf dem europäischen Kontinent nichts mehr schief gehen. Istanbul is calling!
02.10.22 – 31.10.22