Kalter Kaffee von morgen


In der brütenden Hitze Ho Chi Minhs bestellte ich mir einen «Cà phê sua dá». Dafür wird ein Behälter mit Sieb direkt auf das mit Eiswürfeln gefüllte Glas gestellt. Nach ein paar erwartungsvollen Minuten ist der Kaffee durch das Sieb getropft. Zum Abschluss wird das Ganze mit einem Schluck gesüsster Kondensmilch angereichert und mein Espressofetisch landet als Vorurteil im mentalen Mülleimer. Plötzlich sehe ich in den Strassen Vietnams eine Kaffeekultur, deren Fremdartigkeit mich immer mehr entzückt. An gefühlt jeder Strassenecke springt einem ein Schild an, das häufig plump mit «Cà phê» wirbt. Er wird überall von aller Couleur auf eine unaufgeregte, schnörkellose Art und Weise getrunken.

Durch den gestiegenen Wohlstand sind in Südostasien die hippen Espressobars nur so aus dem Boden geschossen. Überall erhält man qualitativ hochwertigen Espresso, der jedoch seinen Preis hat, oftmals mindestens das Doppelte einer Mahlzeit am Strassenstand. Das italienische Massenprodukt ist hier ein soziales Distinktionsmerkmal der Oberschicht. In Vietnam hält man es italienisch, gut und günstig.

Die Kaffeepflanze brachten die französischen Kolonialherren mit, um ihrer Leidenschaft für das schwarze Gold auch abseits ihrer Heimat zu frönen. Im Hochland Vietnams fanden sie geeignete klimatische Bedingungen. Als Exportgut blieb der Kaffee lange Zeit unbedeutend und die weltweit steigende Nachfrage in den Nachkriegsjahrzehnten konnte wegen des Vietnamkriegs nicht bedient werden. Um sich nach all der Verwüstung aus der Armut zu hieven, wurde Ende der 1970er-Jahre der Kaffeeanbau durch die kommunistische Zentralregierung stark gefördert. Doch erst mit den wirtschaftlichen Reformen «Doi Moi» (Einführung der Marktwirtschaft) 1986 nahm der Kaffeeanbau durch private Initiativen langsam an Fahrt auf. Angelockt durch die Subventionspolitik (billige Kredite) wanderten über eine halbe Million Vietnamesen von der Tiefebene ins Hochland und lösten eine atemberaubende Anbauschlacht aus. Von 1981 bis 2011 hat sich der Export von Kaffee verzwanzigfacht. Schon im Jahr 2000 stieg Vietnam zum zweitgrössten Kaffeeexporteur der Welt auf.

Das Setzen auf Quantität führte dazu, dass dem vietnamesischen Kaffee eine schlechte Qualität nachgesagt wurde. Doch durch Kreationen mit Eiern, Kondensmilch und Kokosnussmilch entstehen Getränke, die zwar eigen sind, aber sich qualitativ nicht verstecken müssen. Auch dem Espresso in Italien mussten damals billigere Bohnen beigemischt werden, um ihn als Massenprodukt etablieren zu können. Seinen unverwechselbaren Charakter, der heute weithin geschätzt wird, wurde aus der Not geboren. Wer weiss, vielleicht findet sich irgendwann «Cà phê sua dá» auf der Speisekarte hipper Cafés im Westen. Bis dahin sehen Sie mich im Supermarkt beim Suchen der Kondensmilch.


Weiter
Weiter

Akrobatische Meisterleistung