Hellenischer Helvetier


Wenn man an Griechenland denkt, erscheint einem wohl als Erstes die Akropolis von Athen. Die, eingebettet zwischen mediterranem Wohlfühlklima und Moussaka, ehrfürchtig als Wiege der Demokratie bestaunt wird. Doch in unserem dreiwöchigen Roadtrip entdeckten wir die Spuren eines griechischen Diplomaten, der in russischen Diensten zu einer treibenden Kraft bei der Entstehung der modernen Schweiz avancierte.

Zufälligerweise begannen wir unsere Griechenlandreise in der italienisch angehauchten Altstadt von Korfu und stolperten über die Statue von Ioannis Kapodistrias – erster Staatspräsident des modernen Griechenland. So weit, so interessant. Tausende Olivenbaumplantagen später erreichten wir Nafplio. Bei der Stadterkundung schlenderten wir zufällig an einer kleinen Kirche vorbei und entdeckten eine Gedenktafel. Darauf steht sinngemäss: «Hier wurde Ioannis Kapodistrias am 9. Oktober 1831 auf dem Weg zur Kirche erschossen.» Erstaunt über den Zufall, dass wir innerhalb von zwei Wochen den Geburtsort und den Ort seines Todes bereisten, packte mich die Neugier. Ich nahm den aufdringlichen Wink des Schicksals an und folgte den Spuren dieses Mannes.

Nachdem Napoleon schon Mühe bekundet hatte, die sturen Partikularinteressen der Kantone und deren kleinräumige, politische Sonderbarkeiten in eine funktionierende Staatsform zu zwängen, war die uneinige Schweiz nach seinem Rückzug 1812 heillos zerstritten. Mit der Hilfe von Kapodistrias, der als Diplomat die Interessen des russischen Zarenreichs vertrat, gelang die Einigung zu einer neuen Verfassung. Die Schweiz blieb als Pufferstaat zwischen den Grossmächten bestehen, ganz im Sinne Russlands. Nach Napoleons Ende wurde die politische Landkarte Europas am Wiener Kongress 1815 neu geordnet. Die Schweizer Delegation verhandelte schlecht und weibelte lieber für kantonale Interessen. Kapodistrias musste wieder ran.

Er erreichte mit dem Genfer Pictet de Rochemont die vertragliche Zusicherung der Grossmächte zur «immerwährenden Neutralität» der Schweiz. Die Schweiz trat einige Gebiete ab und erhielt neue dazu und damit ihre geografische Form, die weitestgehend bis heute Bestand hat. Doch im Gegensatz zu Griechenland wird an Kapodistrias in der Schweiz nur mit einer kleinen Büste in Ouchy und einem Platz in Genf erinnert. In Griechenland ist praktisch in jeder Stadt eine Strasse nach ihm benannt und sein Konterfei ziert die 20-Cent Münze, obwohl sein politisches Verdienst in seiner Heimat weit weniger erfolgreich war.

Wie schon viele Reisende zuvor, liessen wir uns von der mythischen Aura Griechenlands, als kulturellen Fluchtpunkt der westlichen Zivilisation, verzaubern. Lässt man die Akropolis jedoch für einmal links liegen, nimmt man neben der omnipräsenten Tsatsiki-Fahne noch eine Lektion in Schweizer Geschichte mit.


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Im Land der klirrenden Teetassen

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