Im Land der klirrenden Teetassen
Sobald wir uns aus dem Hipster-Biotop Istanbul herausgekämpft hatten, was uns wegen des einlullenden kosmopolitischen Flairs schwieriger fiel als gedacht, rutscht man schnurstracks in politische Spannungsfelder. Die Gegenpole der «liberal»-kemalistischen und konservativ-islamischen Politik lassen sich anhand verschiedener Marker identifizieren. Wobei gesagt werden muss, dass unser klassisches Links-Rechts-Schema dabei nicht immer hilfreich ist.
Da wäre als Erstes der Staatsgründer der modernen Türkei, Kemal Pascha Atatürk. Atatürk ist ein selbst verliehener Name und bedeutet «Vater der Türken». Die Erzählung lautet: Ohne ihn wäre die moderne Türkei nie entstanden und das rückständige Osmanische Reich zwischen den Grossmächten aufgeteilt worden. Aus diesem Trauma heraus sah sich Atatürk verpflichtet, die gesamte islamische Kulturtradition in autoritärer Manier zum Verschwinden zu bringen. Auf erratische Weise wurde versucht, eine genuin «türkische» Kultur ohne den Islam zu etablieren, in der zum Beispiel das lateinische Alphabet eingeführt wurde und Familien Nachnamen nach westlichem Vorbild bekamen. Heute fungiert Atatürk mehrheitlich als Identifikationsfigur für die – aus westlicher Sicht – «liberaleren» Türken. Von Restaurants über Coiffeursalons bis zu Strassenlaternen, überall thront das stolze Antlitz Atatürks. Je mehr man jedoch in konservativ-islamische Regionen fährt, desto rarer macht sich der «Vater der Türken».
Was jedoch zunimmt, sind die penibel restaurierten historischen Moscheen. Nach unzähligen Bewunderungstouren alter islamischer Baukunst beschleicht einem der Gedanke, dass Unsummen staatlicher Gelder eingesetzt werden, um der islamischen Kultur zu neuem Glanz zu verhelfen und einige Verheerungen Atatürks rückgängig zu machen. Gleiches gilt für die moderne Infrastruktur, die sehr pompös daherkommt.
Immer wieder wird man Zeuge von politischen Diskussionen auf öffentlichen Plätzen, die engagiert und hitzig geführt werden. Junge Leute berichten über ihre Erfahrungen mit Zensur. Die Ambivalenzen sind auch beim Thema Kopfbedeckung sichtbar. «Mit oder ohne» scheint vielen jungen Frauengruppen egal zu sein, obwohl auch das Kopftuch immer wieder stark politisiert wird.
Sieht man von all diesen Differenzen einmal ab, kristallisieren sich die Grundfesten der türkischen Kultur vordergründig im Teetrinken und Rauchen heraus (zumindest bei den Männern). Die kontemplative Aura der Teetrinker wird durch das Klirren der umrührenden Teelöffel untermalt und durch den obligatorischen Glimmstängel in Rauch gehüllt. Wahrlich ein Genuss, sich in dieses Schauspiel der Gelassenheit einzufügen. Trotz der protestierenden Raucherlunge war die türkische Teekultur ein Highlight, nicht zuletzt auch dank der anregenden Gespräche, in die wir verwickelt wurden.